Der Nachbarschaft verpflichtet
Der 7. Jahreskongress „Lebensmittel 2010“, am 11. November in der Grazer Helmut-List-Halle widmet sich dem immer stärker werdenden Trend zu heimischen Produkten. Dabei verfügt der Lebensmittelhandel über starke Argumente, wenn er Regionalität, Nachhaltigkeit und
Umweltverträglichkeit ins Treffen führt. Die Handelszeitung hat mit einem der Vortragenden, Mag. Wolfgang Braunstein, dem Geschäftsführenden Gesellschafter der Unternehmensberatung gfa, das folgende Interview geführt.
HANDELSZEITUNG: Herr Mag. Braunstein, wie kann der Wahrheitsgehalt der Hauptargumente für die Regionalität sichergestellt werden, welche Maßnahmen sind für die Realisierung erforderlich und vor allem: Welche Möglichkeiten haben die Konsumenten, die Behauptungen
der Industrie beziehungsweise des Handels zu überprüfen?
MAG. WOLFGANG BRAUNSTEIN: Im Vergleich zu anderen Märkten wurde bei den Konsumenten in den letzten Jahren in Österreich eine hohe Präferenz für heimische Produkte aufgebaut. Grundsätzlich ist natürlich zu begrüßen, dass nun der Lebensmitteleinzelhandel zunehmend Regionalität mit dem bewussten Umgang mit den vorhandenen Ressourcen ergänzt. Wesentlich dabei ist allerdings, dass die gesamte Wertschöpfungskette (Produzenten, Großhandel und andere) auch tatsächlich in den Prozess der Konzeption und Umsetzung von Nachhaltigkeitsprogrammen als Argumentation für die Forcierung regionaler Produkte eingebunden wird. Eine reale Umsetzung der postulierten realistischen Ziele kann sicherlich nur erreicht werden, wenn alle an einem Strang ziehen. Sonst besteht die Gefahr, dass sich diese Schlagwörter als nicht viel mehr als Marketinggags des LEH herausstellen und von Produzenten- und Konsumentenseite her schwer zu erfüllen bzw. zu überprüfen sind. Herkunfts- und qualitätsbezogene Versprechen müssen einfach, transparent und somit auch nachvollziehbar sein. Vor allem aber müssen eingesetzte Argumente vor der Verwendung auf ihre Einhaltbarkeit entlang der Wertschöpfungskette evaluiert werden. Dabei gilt es zweifelsohne den Spagat zu schaffen, bei der Emotionalisierung von rationalen Argumenten („ist notwendig um den Konsumenten zu erreichen“) nicht den Bezug zur Praxistauglichkeit in der Erfüllung aus den Augen zu verlieren.
Welche logistischen Zwänge wirken den oben genannten Idealvorstellungen (Regionalität etc.) entgegen?
Regionalität in ihrer aktuellen Form, vor allem im Frischesegment, heißt nicht nur „Österreich“. Vielmehr signalisiert dieser Terminus, dass es sich um Produkte aus der näheren Umgebung des jeweiligen Geschäfts handelt. Das bedeutet Handling von dezentraler regionaler Lieferantenstruktur auf der Basis von zentral gesteuerter Qualitätssicherung und Auftragsabwicklung. Die derzeit z. B. im Obst- und Gemüsesektor bemerkbare Strategie des LEH, vermehrt regionale Lieferanten direkt anzubinden und so „Nähe zur Produktion“ zu demonstrieren, ist aus meiner Sicht langfristig für keine der beteiligten Seite eine sinnvolle Variante.
Welche qualitativen Vorschriften und EU-Richtlinien könnten sich wegen ihres großen administrativen/ personellen Aufwands für KMU-Unternehmen als „Todesstoß“ herausstellen?
Transparenz ist ohne Frage ein wichtiger Faktor, sollte aber nicht zu Lasten einzelner Bereiche gehen. Wenn der administrative Aufwand nicht mehr in Relation zu den gewonnenen Erkenntnissen steht bzw. sich nicht durch höhere Erlöse abdecken lässt, wird das Ganze schnell zur Belastung und erzeugt klarerweise auch Unmut. Produktsicherheit und Qualität müssen auf jeden Fall gewährleistet werden, jedoch muss auch die tatsächliche Umsetzbarkeit von Regelungen sichergestellt werden können. Auch hier ist aus meiner Sicht ein gemeinsames Handeln und Denken aller Beteiligten unumgänglich, um erfolgreich agieren zu können. Höhere Qualitätssicherungsstandards als Differenzierungsinstrument sind sinnvoll, wenn sie gemeinsam (Produktion und Handel) definiert, tatsächlich gelebt, durchgängig angewandt werden und auch am Markt zu höheren Preisen führen.
Der „ökologische Fußabdruck“ – ist er noch immer „Maß aller Dinge“ oder hat er – kurz nach seiner Erfindung – auch schon wieder ausgedient?
Als das Maß aller Dinge würde ich das Konzept des ökologischen Fußabdrucks nicht bewerten. Die zugrunde liegende Idee, die ja auf möglichst nachhaltiges Handeln abzielt, ist ohne Frage positiv zu sehen. Die Richtung, in die sich die Diskussion im Moment entwickelt, würde ich jedoch durchaus kritisch sehen. Wir brauchen aus meiner Sicht kein 100. „Gütesiegel“, dessen Datenbasis teilweise fragwürdig ist und das genauso der üblichen Angebots- und Rabattpolitik unterworfen wird. Fast jeder Player im LEH hat beispielsweise schon sein eigenes „Nachhaltigkeitsgütesiegel“, der Konsument verliert hier sicherlich leicht den Überblick. Auch für den Produzenten bedeuten diese eigenen „Siegel“ oft einen riesigen zusätzlichen Dokumentations- und Datenermittlungsaufwand. Das Motto „Weniger ist mehr“, sprich ein einheitliches Konzept mit umsetzbarer und realistischer Basis für alle, wäre sicherlich eher zu empfehlen.
Kongress- Info: www.RedEd.at
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