Mut zum „Ohrenmaß“
Wenn es nach dem einfühlsamen Liedermacher Reinhard Mey ginge, dann dürfte es für ihn „automatische“ Musik, also alles, was wir mit dem Begriff Hintergrundmusik assoziieren, gar nicht geben.
Denn wie der Barde so schön reimt: „Ich hasse Musik, die aus den Ritzen zirpt, Musik, die mir den Spaß an der Musik verdirbt – zu leise,um sie richtig zu hören, aber grad laut genug, um mich richtig zu stören.“ Nun ist funktionelle Musik ja nicht Selbstzweck, und was den anspruchsvollen Liedermacher stört, ist dem Restaurant-Besucher, dem Supermarktkunden allemal Recht. Der fühlt sich nämlich in aller Regel ganz wohl, wenn ihm zusätzlich zur angenehmen optischen Anmutung im Verkaufsraum und passend zu einer stimmigen und gefälligen Dekoration, auch noch eine dezente und behagliche Musikuntermalung geboten wird. Allerdings – vor Übertreibungen ist zu warnen: Denn gerade in der Vorweihnachtszeit ist man ja nicht nur im Shop, im Restaurant oder im Kaffeehaus mit „Jingle Bells“, „White Christmas“ oder „Last Christmas“ konfrontiert, sondern auch der gesamte öffentliche Raum, Christkindlmärkte, Fußgängerzonen, Büros und Arztpraxen hallen wider von internationalem musikalischen Einheitsbrei.
„Singt im Tante Emma Laden Udo Jürgens noch mal, stell’ ich Käse, Wurst und Waschmittel zurück ins Regal“, warnt Reinhard Mey. Genau das wollen wir ja definitiv nicht, und genau darüber sollte man nachdenken. Aber – wie auch immer – ein Zuviel ist definitiv ungesund, auch bei der Plätschermusik! Denn wer hätte schon ein Interesse daran, seine Kunden in der Zeit vor dem 24. Dezember mit weihnachtlichen Klängen so zu belästigen, dass diese verstört aus dem Geschäft flüchten, ganz davon zu schweigen, dass sie dann daheim bei ihren Lieben unter dem Christbaum nur noch ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Ruhe verspüren und ihnen das Singen vergeht. Wer es also selbst entscheiden (oder zumindest beeinflussen) kann, sollte die vorweihnachtliche Musikberieselung mit Augen- (oder besser Ohren-)maß einsetzen. Ein Weniger (oder Leiser) könnte hier durchaus ein Mehr sein.
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