Wenn Global Food Retailer floppen
COVID-19 bremst die Globalisierung, sagen uns die Wirtschaftsforscher. Stimmt. Aber im Lebensmittelhandel ist sie früh an ihre Grenzen gestoßen. Da gilt seit je her die Devise: All business is local.
Eine Meldung des Handelsblatts vom 19. Juli lässt aufhorchen: Deutschlands Paradediscounter Lidl hat in den USA einen Waagrechtstart hingelegt und wagt jetzt mit neuem Management einen zweiten Anlauf. Nach dem Markteintritt im Jahr 2017 schaffte Lidl 2019 mit knapp über hundert Läden einen Umsatz von 1,18 Mrd. $. Umsatz und Ladenexpansion lagen weit unter den Erwartungen. Viele Standortentscheidungen erwiesen sich als Fehlschlag, das Sortiment fand wenig Anklang. „Die Einkaufsgewohnheiten der Kunden in den USA unterscheiden sich deutlich von denen in Deutschland“. Das befand Boris Planer, Handelsexperte der Beratungsfirma Ascential in seiner Lidl-Analyse.
Er verkündet damit eine Binsenweisheit, die sich längst unter den Lebensmittelhändlern auf diesem Globus herumgesprochen hat. Flops der weltgrößten Food Retailer bei ihren Expeditionen in ferne Märkte haben eine lange Tradition. Tesco soll mit seinem Format Fresh & Easy in den USA in der Zeit zwischen 2007 und 2015 eine Milliarde Dollar in den Sand gesetzt haben. Wal-Mart scheiterte in Russland (übrigens mit Stephan Fanderl als Manager vor Ort). Ahold erlitt Mitte der 90er Jahre mit seiner Foodservice-Sparte in Amerika ein Riesendebakel, das den Aktienkurs der sparsamen Niederländer zum Absturz brachte.
Auch in Europa konnten sich in der Regel die Platzhirsche gegenüber den Eindringlingen, die auf Welteroberung aus waren, souverän verteidigen. Carrefour eröffnete im Jahr 1976 (mit Kastner & Öhler als Partner) in der damals neu errichteten SCS im Süden Wiens Europas größten Hypermarkt mit rund 35.000m2 Verkaufsfläche. Und legte eine Bauchlandung hin, die sich gewaschen hat. Andere große gallische Händler wie Auchan und Promodés gingen baden, als sie den Rhein in Richtung Deutschland überschritten. Und der US-Handelskonzern K-Mart, lange Zeit Hauptrivale von Wal-Mart, gab in Tschechien ein kurzes Gastspiel.
Im Sande verliefen auch die Welt-Eroberungspläne von Metro. Seit Jahren ist in Düsseldorf Gesundschrumpfen angesagt. Jetzt kursieren Meldungen, wonach ein US-Wholesale Club beabsichtigt, sich als Hauptaktionär beim C&C-Urgestein einzukaufen. Ganz und gar keine Erfolgsstory war bislang der Markteintritt von Amazon Fresh in Deutschland. Im noch immer kleinen, aber infolge Corona rascher wachsenden Segment des Online-LEH kann dort die Rewe den Herausforderer aus Seattle recht gut im Zaum halten.
Globalisierung im Nonfood-Handel: Von Corona gebremst, von Online gepusht
Globalisierung im Einzelhandel: Dieses Phänomen ist praktisch ausschließlich im Nonfood-Bereich zu beobachten: im Mode-, Schuh-, Sportartikel-, Heimelektronik-, DiY- und Möbelhandel. Die Wechselwirkung von Corona–Krise und Digitalisierungswelle führt dazu, dass diese Handelsbranchen in einen noch nie da gewesenen strukturellen Umbruch stürzen. Globale Lieferketten wurden durch den Lockdown schwer beschädigt. Handelsabkommen werden im Welthandels-Dreieck zwischen den USA, China und der EU neu ausverhandelt. Verbraucher entdecken im Home Office die Bequemlichkeiten des Home Shopping. Die Revitalisierung der Innenstädte gerät ins Stocken, weil auch den Investoren in Retail-Immobilien das Geld ausgeht, und die Mieteinnahmen sinken. Die Leerstände in strukturschwachen Shopping Centers nehmen beängstigende Ausmaße an.
Vor diesem Szenario droht eine Konzentrationswelle, die auch vor Österreichs Nonfood-Einzelhandel (der für rund zwei Drittel des gesamten Einzelhandels aufkommt), nicht Halt machen wird. Die Bundeswettbewerbsbehörde will mit ihrem Papier :“ Standpunkt - Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen im Kontext der COVID-19 Krise juristische Pflöcke einschlagen, die verhindern sollen, dass Händler mit einem Marktanteil von über 30% durch die Übernahme Corona-geschädigter Mitbewerber ihre Marktmacht über Gebühr ausdehnen und damit den Wettbewerb beeinträchtigen.
Billa, Spar & Co: Umsatz im grünen, Preiskampf im roten Bereich
Im heimischen Lebensmittel-Einzelhandel hat die Konzentration schon lange vor Corona ihren höchstmöglichen Pegelstand erreicht. „Sanierungsfusionen“ sind allenfalls im Gastro-Großhandel zu erwarten. Die Umsatzeinbußen durch den Shutdown in der Gastronomie und den auf Jahre hinaus zu befürchtenden Rückgang im Tourismus mit Urlaubsgästen aus Übersee hat die Foodservice-Sparte, in der noch immer viele mittelständische Firmen unterwegs sind, hart getroffen.
Fordernd, aber nicht überfordernd ist die aktuelle Gemengelage aus Corona-Risken und –Chancen im LEH. Erfreulich: Die kurzen Lieferketten mit Lebensmitteln, insbesondere Frischwaren aus den heimischen Regionen, erfahren einen Aufschwung. Die Konkurrenz durch global gesourcte Lebensmittel wird schwächer. Nicht zuletzt durch die von der EU dieser Tage beschlossenen CO2-Zölle. Und weil Österreichs Konsumenten mehr Wert auf heimische Herkunft der Lebensmittel legen als die Verbraucherhaushalte in Deutschland und der Schweiz.
Weniger erfreulich: Der verschärfte Preiskampf, der im deutschen LEH bereits auf vollen Touren läuft, wird aller Voraussicht nach auf unser Land überschwappen. Wenn die Wirtschaftskrise die Haushaltseinkommen schmälert, haben Discounter und Schleuder-Aktionen Aufwind: Treiber des Preiskampf-Imports sind vor allem die Discount-Riesen Aldi und Lidl. In Deutschland rücken Aldi Nord und Aldi Süd beim Einkauf zusammen, Lidl-Schwester Kaufland drängt bei der Industrie auf Konditionsverbesserung wegen der Übernahme des Pakets an Real-Märkten. Das Ausmaß der Fernsteuerung der Österreich-Töchter durch die deutsche Mutter ist von Unternehmen zu Unternehmen recht unterschiedlich. Österreichische Discount-Filialsysteme wie Lidl, Hofer und Penny werden tendenziell stärker an die Kandare genommen als Supermarktformate wie Billa und Merkur.
„Eure Sorgen möchten wir haben“, können in der mit neuem Führungspersonal ausgestatteten Wirtschaftskammer die Nonfood-Händler ihren Kollegen aus dem LEH zurufen.
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